30 Jahre Bugatti EB 110: Romano Artioli erweckte Bugatti wieder zum Leben

Romano Artioli, der gebürtige Italiener wiederbelebte 1991 Bugatti und erschafft den EB 110, seinerzeit der schnellste Supersportwagen der Welt

30 Jahre Bugatti EB 110: Romano Artioli erweckte Bugatti wieder zum Leben
Foto: © Remi Dargegen for Classic Driver | Quelle: Bugatti PR

Hartnäckigkeit, Träume und grenzenlose Passion setzen sich durch. Das weiß wohl keiner besser als Romano Artioli, der viele Jahrzehnte davon träumte, einen modernen Supersportwagen auf den Markt zu bringen und dafür die damals ruhende Marke Bugatti wiederbelebte oder besser gesagt aus dem Dornröschenschlaf wachküsste.

Artiolis Liebe zu Autos hat mit seiner Herkunft zu tun. Geboren in der Nähe von Mantua, Heimatstadt des Rennfahrers Tazio Nuvolari, faszinieren ihn als Kind Rennfahrer und ihre Autos. In Bozen studiert er Maschinenbau, nach dem Krieg repariert er Autos. 1952 erfährt Artioli vom (vorläufigen) Ende der Produktion bei Bugatti, da ist er gerade einmal 20 Jahre alt und geschockt. Eine Marke mit überragender Qualität, anspruchsvollem Design, Ideen und technischen Errungenschaften muss eines Tages wiederbelebt werden. Er schwört sich, dies zu tun. 39 Jahre soll es dauern, bis er sein Ziel erreicht. Bis dahin ist der Italiener als Importeur unter anderem von Fahrzeugen von GM und Suzuki aktiv, wird größter Importeur von japanischen Autos in Italien und der größte Automobilhändler von Ferrari. Seine private Autosammlung umfasste damals viele historische Fahrzeuge von Bugatti.

Mitte der 1980er-Jahre beginnt der Italiener mit der Regierung Frankreichs über den Kauf der Marke Bugatti zu verhandeln – zwei Jahre lang diskret und verdeckt. 1987 gründet er die Bugatti Automobili S.p.A. und wird Vorsitzender. Eigentlich will Artioli die Firma zunächst in Molsheim auferstehen lassen; bittet Enthusiasten der Marke um Unterstützung bei seinem Vorhaben, um eine Verbindung zwischen Molsheim und einem neuen Standort herzustellen: Campogalliano in der Provinz Modena in der Region Emilia-Romagna.

In Campogalliano entsteht eine der modernsten Automobilfabriken

In Nachbarschaft von Ferrari, Maserati, De Tomaso und Lamborghini entsteht in den Folgejahren eine der modernsten Automanufakturen der Welt, mit Verwaltungsgebäude, Designstudio, Motor- und Testentwicklung, Produktionshallen, Teststrecke und Fahrzeugausstellung; die Hallen offen, lichtdurchflutet und mit Klimaanlagen versehen; so haben die Mitarbeiter das Gefühl, sie säßen im Freien. Für sein Vorhaben wirbt Artioli Top-Ingenieure und Top-Designer aus der Region an; als Architekten engagiert er seinen Cousin Giampaolo Benedini, der ein beeindruckendes Gebäude entwirft. Benedini überarbeitet außerdem auch den ersten Entwurf des künftigen Supersportwagens, glättet die scharfen Kanten und die extreme Keilform.

Der EB 110 entsteht auf einem weißen Blatt Papier, er bricht mit vielen Konventionen seiner Gattung, schießt trotz dessen oder gerade deshalb an die automobile Spitze, wird seinerzeit der beste und schnellste Supersportwagen der Welt. Der EB 110 besitzt das erste in Serie gefertigte Carbonchassis, Allradantrieb, vier Turbolader, 3,5-Liter-V12 mit fünf Ventilen pro Zylinder und 550 PS. Mit über 351 km/h Höchstgeschwindigkeit bricht der Zweisitzer mehrere Rekorde.

Vor fast 30 Jahren, am 15. September 1991 (der 110. Geburtstag von Ettore Bugatti) präsentiert Romano Artioli den EB 110 in Paris. Bei der Premiere in Frankreichs Hauptstadt kommen über 5.000 Pressevertreter, Industrie-Größen aus der ganzen Welt und unzählige Schaulustige. Hunderte von Sicherheitskräften müssen die Veranstaltung auf dem Place de la Défense absichern; als Alain Delon mit Artiolis Ehefrau Renata im EB 110 die Champs-Elysées hinunterfährt, kreischen die Fans.

Einer der wohl prominentesten Kunden eines EB 110 wird Michael Schumacher. Bei einem Vergleichstest eines Automagazins testete er mehrere Supersportwagen, ist vom EB 110 begeistert und bezeichnet ihn als unvergleichbar. Er kauft einen gelben Super Sport mit blauem GT Interieur. Nach einem Rabatt fragte er, laut Artioli, nicht. Jeder Besitzer konnte sich “seinen” EB 110 individuell konfigurieren, wie einen Maßanzug.

Danach ändern sich die Zeiten. Zwar sind die Reaktionen auf den EB 110 trotz globaler Finanzkrise durchweg enthusiastisch, allerdings leiden die Amerikaner seinerzeit unter dem Eindruck des Golf-Krieges, und zu allem Überfluss steigt der Kurs des Yen und in Italien bricht die Konjunktur ein, Markt und Absatz schrumpfen. Daneben investiert Artioli in das Automobilunternehmen Lotus und häuft Verbindlichkeiten an, Probleme mit Lieferanten kommen noch hinzu. Nach 39 Jahren Träumen und sieben Jahre harter Arbeit endet das Projekt Bugatti unter Romano Artioli. Im September 1995, nach circa 128 gebauten Fahrzeugen, wird Insolvenz angemeldet. Bis zum letzten Tag bekommen die 220 Angestellten ihren Lohn. Die schon fast fertige Supersportlimousine EB 112 kann Artioli nicht mehr präsentieren. Ein viertüriger Supersportler mit 6,0 Liter großen V12, hinter der Vorderachse montiert. Das Chassis aus Kohlefaser. Ein Supersportler als Viertürer Anfang der 1990er Jahre in einer (noch) recht biederen Autolandschaft, weit vor Porsche Panamera, Mercedes CLS und AMG GT. Vielleicht auch gerade deshalb, vielleicht war Artioli seiner Zeit ein wenig voraus, der Markt (noch) nicht bereit für all das.

Aber der Mythos Bugatti schläft nicht lange. Schon 3 Jahre später, im Jahr 1998, kommt Bugatti zurück ins französische Molsheim. Dort, wo 1909 Ettore Bugatti sein erstes Auto unter eigenem Namen selbst baute. Seitdem entstehen in der elsässischen Manufaktur die einzigartigen Hypersportwagen Chiron1, Divo2, Chiron Pur Sport3 und als Hommage an den EB 110 bald der Centodieci4.

Grazie und Merci, Romano Artioli!

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1 Chiron: WLTP: Kraftstoffverbrauch, l/100km: besonders hoch 43,33 / hoch 22,15 / mittel 18,28 / niedrig 17,99 / kombiniert 22,32; CO2-Emissionen, kombiniert, g/km: 505,61; Effizienzklasse: G
2 Divo: WLTP: Kraftstoffverbrauch, l/100km: besonders hoch 43,33 / hoch 22,15 / mittel 18,28 / niedrig 17,99 / kombiniert 22,32; CO2-Emissionen, kombiniert, g/km: 505,61; Effizienzklasse: G
3 Chiron Pur Sport: WLTP: Kraftstoffverbrauch, l/100km: besonders hoch 44,6 / hoch 24,8 / mittel 21,6 / niedrig 21,3 / kombiniert 25,2; CO2-Emissionen kombiniert, g/km: 572; Effizienzklasse: G
4 Centodieci: Unterliegt nicht der Richtlinie 1999/94/EG, da Gesamtbetriebserlaubnis derzeit noch nicht vorliegt.

 

(Foto: © Remi Dargegen for Classic Driver | Quelle: Bugatti).

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